Dr. Damaris Aschwanden, wie sind Sie zur Altersforschung gekommen?
Dr. Damaris Aschwanden: Während meines Psychologiestudiums an der Universität Zürich absolvierte ich ein Forschungspraktikum, das sich mit der Untersuchung kognitiver Fähigkeiten und Gehirnstrukturen im höheren Alter befasste. Ich war für die Durchführung kognitiver Tests mit älteren Menschen zuständig.
Von Anfang an hat mich das alternde Gehirn fasziniert, und der direkte Kontakt mit den älteren Studienteilnehmenden hat mir besonders Freude bereitet. Ich denke, das liegt auch daran, dass ich immer ein sehr enges Verhältnis zu meinen Grosseltern hatte, was meine grundsätzlich positive Haltung gegenüber älteren Menschen geprägt hat.
Wie ging Ihre Karriere in der Altersforschung weiter?
Dort, wo ich mein Forschungspraktikum gemacht habe, schrieb ich auch meine Masterarbeit und machte anschliessend mein Doktorat. In dieser Zeit begann ich mich besonders für Demenz zu interessieren. Ich entschied mich deshalb für einen Post-Doc im Persönlichkeits- und Demenzrisiko-Labor an der Florida State University in den Vereinigten Staaten.
Nach vier Jahren zog es mich zurück in die Schweiz, an die Universität Genf, wo ich als Oberassistentin tätig war. Heute bin ich insbesondere auf kognitive Gesundheit, Demenzprävention und Persönlichkeit spezialisiert.
Was meinen Sie mit «Persönlichkeit»?
Damit meine ich vor allem das Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeitspsychologie. Dieses inkludiert:
- Offenheit für Erfahrungen (Aufgeschlossenheit),
- Gewissenhaftigkeit (Zuverlässigkeit, Pflichtbewusstsein),
- Extraversion (Geselligkeit, Extravertiertheit),
- Verträglichkeit (Rücksichtnahme, Kooperationsbereitschaft, Empathie) und
- Neurotizismus (emotionale Labilität und Verletzlichkeit).
Diese fünf Faktoren beeinflussen den Alterungsprozess. Wer zum Beispiel gewissenhaft ist, hat ein geringeres Risiko, an Demenz zu erkranken. Wenn jemand besonders neurotisch ist, sich also viele Sorgen macht, ist das Demenzrisiko bei dieser Person höher.
Was fasziniert Sie besonders an der Altersforschung?
Mich fasziniert, wie individuell und vielschichtig der Alterungsprozess verläuft – biologisch, psychisch und sozial. Besonders spannend finde ich, wie sich kognitive Fähigkeiten im Alter verändern, welche Schutzfaktoren es gibt und wie man gesunde Alterungsprozesse fördern kann.
Zudem finde ich es sehr bereichernd, mit älteren Menschen zu arbeiten: Ihre Lebenserfahrung, ihre Perspektiven und ihre Offenheit im Gespräch machen die Forschung in diesem Bereich für mich besonders wertvoll.
Nicht zuletzt sehe ich in der Altersforschung auch eine gesellschaftlich relevante Aufgabe, denn angesichts des demografischen Wandels wird es immer wichtiger, Wege für ein gesundes und würdevolles Altern zu finden. Ich bin überzeugt, dass die Altersforschung künftig noch stärker dazu beitragen wird, ein gutes und selbstbestimmtes Leben im Alter zu ermöglichen.
Welche aktuellen Trends und Entwicklungen sehen Sie in der Altersforschung in der Schweiz und weltweit?
Ein zunehmender Trend ist die individuelle Betrachtung des Alterungsprozesses – weg von der Idee eines «typischen Alterns» hin zu einer differenzierten Sichtweise, die biologische, psychologische und soziale Unterschiede berücksichtigt. Statt nur auf Krankheitsbilder zu fokussieren, liegt der Fokus zunehmend auf präventiven Massnahmen, um kognitive, körperliche und psychosoziale Ressourcen zu erhalten.
Weltweit wie auch in der Schweiz hält zudem die Digitalisierung Einzug in die Altersforschung – sei es zur Früherkennung kognitiver Einschränkungen via App oder Sensorik, zur Analyse grosser Datenmengen mit KI oder zur Förderung der Selbstständigkeit im Alter durch Smart-Home-Technologien.
Wie beeinflussen KI und andere technologische Innovationen die Altersforschung?
KI und technologische Innovationen verändern die Altersforschung grundlegend. Sie ermöglichen es, komplexe Daten – etwa aus Bildgebung, kognitiven Tests oder Verhaltensbeobachtungen – effizient auszuwerten und Muster zu erkennen, die früher verborgen geblieben wären. Ich finde den Einsatz von Machine Learning interessant, um beispielsweise kognitive Veränderungen frühzeitig zu erkennen oder Demenzrisiken besser vorherzusagen.
Zudem denke ich, dass digitale Assistenzsysteme, etwa sprachgesteuerte Geräte oder robotische Begleiter, grosses Potenzial bieten, um Selbstständigkeit und Lebensqualität im Alter zu fördern. Entscheidend ist aber, dass die Technologie nicht ersetzt, sondern ergänzt – und die Bedürfnisse älterer Menschen konsequent mitgedacht werden. Als Psychologin interessiere ich mich dabei natürlich auch weiterhin sehr für nicht-technische Lösungsansätze.
Was zeichnet das IAF Institut für Altersforschung im Bereich Altersforschung aus?
Das IAF Institut für Altersforschung zeichnet sich durch einen interdisziplinären und partizipativen Forschungsansatz aus. Unser Team vereint Expertise aus der Gerontologie, Ethnologie, Soziale Arbeit, Soziologie, Humanwirtschaftsgeografie, Sozialpolitik, Bewegungswissenschaften, Wirtschaftsökonomie und Psychologie.
Uns ist es sehr wichtig, nicht nur über, sondern mit älteren Menschen zu forschen. Wir haben deshalb ein Beratungsgremium, das aus älteren Menschen besteht – das sogenannte Sounding Board. Dieser Ansatz unterscheidet uns meines Erachtens von anderen Instituten im Bereich Altersforschung an Hochschulen.
An welchen Forschungsprojekten arbeiten Sie und Ihr Team im IAF aktuell?
Im Forschungsprojekt namens «Alfred» testen wir zum Beispiel einen sprachgesteuerten KI-Begleiter für ältere Menschen, um deren Selbstständigkeit und Lebensqualität zu fördern.
Um altersfreundliche Gemeinschaften geht es im Projekt «Creating Age-friendly Communities for Older People». Darin möchten wir eine integrative lokale Gemeinschaft mit und für ältere Menschen entwickeln. Darüber hinaus forschen wir zum eigenständigen Einkaufen im Projekt «VIRAS».
Zu welchen Themen möchten Sie in Zukunft noch intensiver forschen?
In Zukunft möchte ich mich am IAF noch intensiver mit Themen rund um die kognitive Gesundheit und psychosoziale Faktoren beschäftigen. Mich interessiert zum Beispiel, wie soziale Interaktion, Lebensstil und psychische Gesundheit zur Prävention kognitiver Beeinträchtigungen beitragen können.
Ebenso interessiert mich die Entwicklung und Testung personalisierter Interventionen für gesundes Altern. Individuelle Unterschiede, insbesondere in der Persönlichkeit, spielen hierbei eine zentrale Rolle: Sie beeinflussen nicht nur das subjektive Wohlbefinden, sondern auch, wie Menschen mit gesundheitlichen Herausforderungen umgehen und welche Formen der Unterstützung wirksam sind.