Generative KI im Unternehmen umsetzen – Wie finden Unternehmen sinnvolle Use-Cases und worauf kommt es jetzt an?
Generative KI – wo stehen wir aktuell?
Seitdem Open.AI im November 2022 das Sprachmodell ChatGPT für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat, haben wir die Verbreitung einer neuen Technologie in einer bisher noch nie dagewesenen Geschwindigkeit erlebt.
War der Begriff «Künstliche Intelligenz» zuvor für die meisten Individuen und Organisationen eher Zukunftsmusik, so haben sich leistungsstarke Modelle generativer KI seither als Allzwecktechnologie auf breiter Ebene etabliert. Also Software-Modelle, die auf der Grundlage bestehender Daten und Muster in den Daten neue Inhalte wie z.B. Text, Bild, Video, oder Sound erstellen können- Dies sind Tätigkeiten, die bislang oft gut ausgebildeten Wissensarbeitenden vorbehalten waren. Dies gilt sowohl für den privaten Gebrauch als auch für Unternehmen, Behörden oder Forschungseinrichtungen.
Der Fokus der Aufmerksamkeit hat sich während dieser Zeit bereits mehrfach verschoben. Während es in den ersten Monaten darum ging, erste Gehversuche mit der Technologie zu machen, auszuprobieren und diese spielerisch zu erobern, ging es in einer zweiten Phase um die kontinuierliche Verbesserung der Modelle (z.B. bei der Bildgenerierung, Videoerstellung oder im Bereich des «Reasonings»). Nun geht es verstärkt darum, konkrete Use-Cases, also Anwendungsfälle, zu identifizieren, die Organisationen dabei helfen, einen echten Mehrwert zu generieren.
Ansatzpunkte für generative KI Use-Cases
Dabei wird oft zwischen zwei grundlegenden Ansatzpunkten für einen solchen Mehrwert unterschieden. Einerseits helfen die generativen KI-Modelle dabei, produktiver, effizienter und letztlich auch schneller zu werden. Andererseits können diese Modelle neue Ertragsströme ermöglichen, indem innovative, konzeptionelle oder kreative Tätigkeiten ausgeführt werden (z.B. neue Produkte, Services, Geschäftsmodelle).
Menschliche Arbeit wird dabei entweder ganz ersetzt, also automatisiert oder wir arbeiten in neuen, hybriden Arbeitsmodellen mit der Software zusammen, quasi wie mit einem neuen, virtuellen Kollegen oder einer Kollegin, die unsere Arbeit unterstützt («augment»). In beiden Fällen verändert sich die Wertschöpfung (zum Teil erheblich), es müssen neue Rollen und neue Wissens- und Kompetenzfelder definiert werden.
Mögliche Anwendungsfälle in Unternehmen können dabei in zahlreichen unternehmerischen Funktionen ansetzen oder zahlreichen Zwecken dienen (Beispiele siehe z.B. unter Open.AI, 2025). So kann generative KI im Innovationsprozess eingesetzt werden, um zahlreiche Ideen oder Prototypen in kurzer Zeit zu entwickeln, im Kundenservice zur Beantwortung von Fragen oder im Marketing zur Erstellung von Social Media Inhalten oder um ein digitales Abbild von Fotomodellen zu erstellen (digitaler Zwilling). Noch immer funktionieren Anwendungsfälle im Rahmen innovativer und kreativer Tätigkeiten besonders gut. Doch gibt es auch hier Neuerungen.
Interessant ist, dass es auch im Hinblick auf die tatsächliche individuelle Nutzung generativer KI auf globaler Eben eine Entwicklung gibt. Im Jahr 2024 lagen die wichtigsten Anwendungsfälle generativer KI neben weiteren Zwecken in der Ideengenerierung, für spezifische Suchen oder in der Textüberarbeitung. Ein Jahr später geht es weniger um technische und mehr um emotionale Anwendungen, wie Therapie oder Unterstützung zur generellen Organisation des Alltags und verbessertes Lernen (Zao-Sanders, 2025a, b). Generative KI wird also ein fester Bestandteil des Alltags von Individuen.
Johnson & Johnson – erst ausprobieren, dann fokussieren und Hürden überwinden
Doch zeigt sich in der Praxis, dass es zwar einigen Unternehmen gelingt, generative KI erfolgreich produktivitätssteigernd einzusetzen. Doch viele Unternehmen berichten auch von zahlreichen Hürden oder von einem intensiven Lernprozess, den sie durchlaufen haben, wie z.B. der Life Science Konzern Johnson & Johnson (Bousquette, 2025). Nach etwa einem Jahr, in welchem das Unternehmen auf breiter Fläche etwa 900 verschiedene Anwendungsfälle getestet hat, kristallisierte sich heraus, dass nur ein kleiner Teil von 10-15% dieser Fälle etwa 80% des Wertezuwachses ausmachten. Doch diese Anwendungsfälle mussten erst gefunden werden. Aktuell geht das Unternehmen dazu über, sich nur noch auf diesen kleinen Teil der Use-Cases zu konzentrieren. Dazu gehört unter anderem die Identifikation von Risiken in der Lieferkette, ein unternehmens-interner Chatbot oder ein Copilot, der Vertriebsmitarbeitende im Gespräch mit medizinischem Fachpersonal zu neuen Therapien unterstützt.
Hürden bei der Suche und Umsetzung von generativer KI Use-Cases
Die Hürden, die Organisationen auf diesem Weg überwinden müssen, sind vielfältig. Unternehmen berichten von technischen Hürden (z.B. fehlende Daten, Datenqualität oder Daten können nicht aus Maschinen extrahiert werden), organisatorischen Hürden (Integrationsaufwand, unterschiedliche Datenstandards) oder rechtliche Hürden und Sicherheitsbedenken (Unklarheiten bzgl. Urheberrecht, Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen). Ein zentraler Faktor sind zudem fehlendes Wissen und Kompetenzen der Mitarbeitenden im Umgang mit Daten und KI oder auch ein fehlendes Bewusstsein für deren aktuelle und potenzielle Bedeutung in der Wertschöpfung. So verwundert es nicht, dass eine datengetriebene Unternehmenskultur (bzw. KI-ermöglichende Kultur) und Daten/KI-Kompetenz häufig als wichtigste Voraussetzung für eine sinnvolle Anwendung von generativer KI und den dazu erforderlichen Data Science Praktiken gilt (siehe hierzu Kugler, 2023, 2025).
Eine solche Kultur und Mindset braucht es auch, um generative KI mit der bestehenden Wertschöpfung zu verknüpfen. Denn der wahre Wert einer neuen Technologie zeigt sich erst dann, wenn diese nicht nur in bestehende Prozesse ergänzend eingebunden wird, sondern dabei hilft, Wertschöpfung ganz neu zu denken.
Worauf es jetzt ankommt: Empfehlungen für die Suche nach KI Use-Cases
Wie sollen Unternehmen nun bei der Suche nach sinnvollen generative KI Use-Cases vorgehen? Es kristallisieren sich einige Handlungsempfehlungen heraus. Unter anderem macht es Sinn, mit realen Aufgaben zu starten und zu prüfen, ob KI-Modelle diese schneller, besser, innovativer machen oder nicht. Sofern keine Veränderung möglich ist, macht ein Einsatz der Software (zum aktuellen Zeitpunkt) eher keinen Sinn. Wie so oft bei innovativen Ideen macht es Sinn, zu Beginn nicht nach Perfektion zu streben, sondern auszutesten, und dies mit einer einfachen, günstigen Lösung, einem sogenannten Minimum Viable Model (MVP). Sollte sich dieses bewähren, kann nach einer höherwertigen Lösung gesucht werden.
Dabei muss das Ziel nicht immer «der grosse Gump» oder die Disruption sein. Auch kleine Anwendungen im Alltag können einen erheblichen Beitrag zu Wertschöpfung leisten, insbesondere dann, wenn sie skalierbar sind. Generell gilt: Warten sollten Unternehmen nicht mehr allzu lange, denn generative KI ist heute schon in der unternehmerischen Realität angekommen, sie wird bleiben. Angesichts der rasanten Entwicklung ist es zentral, «am Ball» zu bleiben, um die notwendigen Kompetenzen und Wissen im Unternehmen zu schulen. Der Einsatz generativer KI sollte normal werden und nicht mehr die Ausnahme sein. Dies braucht einerseits eine klare Priorisierung und Unterstützung der Unternehmensführung, welche generative KI überhaupt erst auf die unternehmerische Agenda setzt. Zudem kann es auch helfen, externe Schulungen und Unterstützung beizuziehen, da so schnell und kompakt das notwendige Wissen ins Unternehmen transportiert werden kann.
Literatur:
Bousquette, I. (2025). Johnson & Johnson pivots its AI Strategy. The Wall Street Journal online, 21. April 2025. https://www.wsj.com/articles/johnson-johnson-pivots-its-ai-strategy-a9d0631f.
Kugler, P. (2025). Datengetriebene Organisationskultur: Unternehmen neu denken und Daten im Ökosystem teilen. In: Kugler et al. (Hrsg.): Data Sharing für KMU. Wiesbaden: Springer, Kapitel 3, erscheint im Juni 2025.
Kugler, P. (2023). Aus Big Data wird Big Value: Warum es eine Daten-dominante Logik braucht. Schallmo, D.R.A.; K. Lang; T. Werani; B. Krumay (Hrsg.): Digitalisierung: Fallstudien, Tools und Erkenntnisse für das digitale Zeitalter. Wiesbaden: Springer Fachmedien, 553-568. https://doi.org/10.1007/978-3-658-36634-6.
Open.AI (2025). Identifying and Scaling AI Use Cases. How Early Adopters focus their AI Efforts. cdn.openai.com/business-guides-and-resources/identifying-and-scaling-ai-use-cases.pdf.
Zao-Sanders, M. (2025a). How People Are Really Using Gen AI in 2025. Harvard Business Review Online, 09 April 2025. https://hbr.org/2024/03/how-people-are-really-using-genai.
Zao-Sanders, M: (2025b). The Top 100 Gen-AI Use-Case Report: How People are really using Gen AI now.
Autorin:
Prof. Dr. Petra Kugler ist Professorin für Strategie und Management an der OST – Ostschweizer Fachhochschule am Standort St.Gallen. Im Zentrum ihres Interesses stehen Themen an der Schnittstelle zwischen Strategie, Management sowie Technologie und Innovation, insbesondere wenn es um den Aufbau nachhaltiger Vorteile im Wettbewerb geht. Wie Unternehmen künstliche Intelligenz und Big Data einsetzen können und wie sie sich dazu verändern müssen, stellen einen ihrer Forschungsschwerpunkte dar.