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Medienmitteilungen der OST

Die Fähigkeit zur Selbstregulierung und die Beziehung zur Lehrperson sind entscheidend für den Lernerfolg

Medienmitteilung vom 24. April 2025

Ständige Störaktionen, ungelöste Konflikte, Mobbing: In vielen Schulklassen kommt es zu Gruppendynamiken, die hinderlich sind für das Lernen und die persönliche Entfaltung. Häufig wird deshalb die Schulsozialarbeit mit einer Klassenintervention beauftragt. Ziel ist es, die Kinder und Jugendlichen in ihrer Konfliktkultur, Sozialkompetenz und Resilienz zu stärken, um eine motivierende Lernatmosphäre zu schaffen. Doch wie gelingt das und wer ist am Ende dafür zuständig?

Ständige Störaktionen, ungelöste Konflikte, Mobbing: In vielen Schulklassen kommt es zu Gruppendynamiken, die hinderlich sind für das Lernen und die persönliche Entfaltung.

Die einen spielen ständig den Clown und stören dabei den Unterricht, andere üben eine solche Macht aus, dass sie Mitschülerinnen und Mitschüler mit nur einem Blick in Schach halten können. Und wieder andere ziehen sich immer mehr zurück, weil sie von der Gruppe ausgegrenzt werden. Muster wie diese zeigen sich in vielen Schulklassen. Sie können das Klima regelrecht vergiften. Denn wenn Kinder und Jugendliche im Lernprozess ständig unterbrochen werden, Stress ausgesetzt sind und keinen Zusammenhalt erfahren, sinken Motivation und Leistung.

Als Schulsozialarbeiter erlebt Stefan Ritz solche Dynamiken oft. Der ehemalige Hochbauzeichner, Maurer und Bauführer liess sich vor bald 25 Jahren zum soziokulturellen Animator ausbilden, fasste dann Fuss in der Sozialen Arbeit und schliesslich in der Schulsozialarbeit. Heute ist er beim regionalen Beratungszentrum Rapperswil-Jona tätig und unterstützt Schulklassen und ihre Lehrpersonen innerhalb dieses Einzugsgebiets – sei es bei Störaktionen, Streit oder Mobbing.

Impulsen nicht sofort nachgeben

Wenn Stefan Ritz in eine Klasse geht, zeigt er den Schülerinnen und Schüler zum Auftakt jeweils ein Video über das Marshmallow-Experiment. Im Rahmen dieser bekannten psychologischen Studie erhielten Kinder zwischen circa vier und sechs Jahren je einen Marshmallow. Diesen durften sie entweder gleich essen oder aber sie hatten die Möglichkeit, mit dem Essen zu warten und als Belohnung dafür einen zweiten Marshmallow zu bekommen. Die Forscherinnen und Forscher kamen zum Schluss, dass Kinder, die in der Lage waren, der Versuchung zu widerstehen, tendenziell langfristig stärkere Leistungen erbrachten und gesünder waren.

An der Interpretation dieser Studie gab es über die Jahre zwar immer wieder kritische Stimmen. Nichtsdestotrotz bleibt eine grundsätzliche Erkenntnis daraus unbestritten: Die Fähigkeit, sich selbst zu regulieren, Impulsen nicht sofort nachzugeben und sich Ziele zu setzen, erweist sich im Leben als hilfreich.

Den präfrontalen Cortex trainieren wie einen Muskel

Wenn es um Selbstregulierung, Impulssteuerung und emotionale Kontrolle geht, spielt ein Teil des Gehirns eine entscheidende Rolle. Es ist der präfrontale Cortex. «Diesen muss man wie einen Muskel trainieren», sagt Stefan Ritz. An diese Aufgabe macht er sich zusammen mit den Kindern oder Jugendlichen. Zum Beispiel durch Übungen und Spiele, in denen Geduld, Frustrationstoleranz und Selbstbeherrschung gefragt sind. «Einigen fällt es sehr schwer, sich für drei Minuten auf etwas zu fokussieren – selbst in der vierten Klasse noch», erzählt Stefan Ritz. «Sie sind aber nicht unkonzentriert, weil sie es wollen, sondern weil sie es nicht anders können.»

Für den Schulsozialarbeiter ist es aber auch wichtig, den Kindern und Jugendlichen klar zu vermitteln, was das Training bezweckt: «Es geht darum, in Ruhe arbeiten, in Frieden leben und Ziele erreichen zu können, was letztlich zu mehr Erfolg im Privaten als auch im Beruflichen führt.» Ritz’ Erfahrungen sind gut. Die allermeisten Schülerinnen und Schüler verstünden die Notwendigkeit und das Ziel des Trainings schon ab der ersten Klasse, sagt er. «Und es ist auch immer wieder schön zu sehen, wie stolz manch ein Erstklässler ist, dass er den Begriff ‚präfrontaler Cortex‘ kennt und aussprechen kann.»

Der österreichische Neurologe und Psychiater Viktor Frankl sagte einst: «Zwischen Reiz und Reaktion liegt die Freiheit.» Diese Worte nutzt Stefan Ritz in Klasseninterventionen oft, um den Kindern und den Jugendlichen zu veranschaulichen, dass sie es selbst in der Hand haben, eine Situation in eine bestimmte Richtung zu lenken. «Wenn man fähig ist, die eigenen Gefühle zu regulieren, kann man frei entscheiden, ob man zuschlagen will oder nicht, ob man streiten will oder nicht und ob man etwas entgegnen will oder eine andere Meinung auch einfach einmal stehen lassen kann.»

Beziehung und Bindung stärken

Für Stefan Ritz ist es aber auch wichtig, dass die Lehrperson während der Klasseninterventionen mit im Raum oder im besten Fall auch ins Training involviert ist. «Die Bindung und Beziehung zwischen Kindern und Jugendlichen und ihren Lehrpersonen ist das A und O», sagt er. «Sie ist nahezu das Wichtigste, um die Resilienz der Schülerinnen und Schüler zu fördern.»

Resilienz bedeutet die Fähigkeit, sich trotz belastender und herausfordernder Situationen bestmöglich weiterzuentwickeln. Sie hat gemäss wissenschaftlichen Erkenntnissen einen massgeblichen Effekt auf den Lernerfolg.

Um eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen, rät Stefan Ritz Lehrpersonen unter anderem, ihren Schülerinnen und Schülern die Hand zu geben – nicht nur im übertragenen, sondern auch im wortwörtlichen Sinn. Diese einfache Geste zu Beginn und zum Ende eines Schultages schaffe bereits einen grossen Unterschied und stärke die Bindung. Ausserdem sei das Händeschütteln auch eine ideale Möglichkeit, um ein erstes Stimmungsbild über den Gemütszustand jeder und jedes einzelnen zu gewinnen. 

Der Experte plädiert zudem für klare Regeln im Unterricht. «Viele Lehrpersonen versuchen, den Unterricht sehr offen zu gestalten», sagt er. Dies sei aber gerade bei Kindern, die nicht warten könnten, die keine gute Selbstkontrolle hätten, kontraproduktiv. «Sie können sich nicht orientieren, wenn der Rahmen zu weit ist.» Teil der Beziehung sei es nicht nur, sich den Kindern und Jugendlichen verstehend zuzuwenden, sondern es brauche auch Führung im Sinne einer positiven Autorität, die Ziele vorgibt, Schutz bietet und motiviert.

Die Rolle der Schulsozialarbeit

Im Schulalltag sind die Lehrpersonen mit vielen Herausforderungen konfrontiert. Die Belastung nimmt tendenziell zu. Brodelt es in der Klasse, wird oft die Schulsozialarbeit hinzugezogen. Doch inwiefern ist diese für das Classroom-Management zuständig und wer trägt welche Verantwortung? Diese Frage lässt sich nicht so einfach beantworten. Unter den Schulsozialarbeitenden gibt es unterschiedliche Auffassungen über Rollen und Aufgaben, wie der Community-Anlass Schulsozialarbeit an der OST – Ostschweizer Fachhochschule zeigte. In welchem Mass die Schulsozialarbeit bei ungesunden Dynamiken im Klassenzimmer aktiv wird, ist nicht zuletzt auch abhängig von den Strukturen und Ressourcen, über die eine Schule verfügt. In den letzten Jahren habe sich die Rolle der Schulsozialarbeit zudem gewandelt, sagt Martina Good, Leiterin der Zertifikatskurse CAS Schulsozialarbeit und CAS Schulsozialpädagogik an der OST. «Früher hat die Schulsozialarbeit in den Klassen oft das Zepter übernommen, heute ist ihre Rolle kooperativer und die Schulsozialarbeitenden stehen den Lehrpersonen beratend zur Seite.» Das vereinte Ziel aber bleibt: Für Kinder und Jugendliche sollen die bestmöglichen Rahmenbedingungen geschaffen werden, um motiviert lernen zu können und mit einem guten Rucksack durchs Leben zu gehen.

CAS Schulsozialarbeit

Die Schulsozialarbeit bietet eine niederschwellige und beziehungsorientierte Anlaufstelle im schulischen Alltag. Eine Tätigkeit in diesem komplexen Handlungsfeld der Sozialen Arbeit setzt spezifisches Wissen und Können voraus. Der CAS Schulsozialarbeit an der OST – Ostschweizer Fachhochschule vermittelt entlang der Kinderrechtskonvention professionelle Kompetenzen und fördert die Kooperation zwischen Berufseinsteigenden und schulischen, schulnahen sowie familienergänzenden Fachstellen.

CAS Schulsozialpädagogik

Immer mehr Schulen stellen neben Schulsozialarbeitenden auch Sozialpädagoginnen und -pädagogen ein. Wo die Schulsozialarbeit eher beratend und in der Fallführung tätig ist, begleitet die Schulsozialpädagogik Kinder und Jugendliche im schulischen und schulergänzenden Alltag. Der CAS Schulsozialpädagogik vermittelt fundiertes Wissen, praktische Instrumente und unterstützende Methoden für die Arbeit in diesem jungen Berufsfeld.

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